Konzeptkunst: vom WIE zum WARUM

Kaum ein Kunststil wird so kontrovers diskutiert, wie die Konzeptkunst. Objekt, Video, Zeichnung, Ereignis etc. kann Konzeptkunst sein. Selber Konzeptkünstlerin, frage ich mich: Was ist Konzeptkunst und welche Umstände haben zu diesem Kunststil geführt? Und warum sind mir kaum Konzeptkünstlerinnen bekannt, sondern vor allem -künstler?

Aus dem Kunstgeschichtsunterricht weiß ich, dass in der Konzeptkunst die Idee wichtiger oder zumindest genauso wichtig ist wie die Umsetzung des Werks – wenn sich das Werk überhaupt manifestieren soll. Der Begriff der Konzeptkunst wurde in den 1960er und 1970er Jahren als solcher festgelegt und war zu Beginn sehr unklar. Lucy Lippard dokumentierte das Aufkommen von so-called conceptual or information or idea art in ihrem Buch Six Years: The Dematerialization of the Art Object from 1966 to 1972. Zu Beginn waren diverse Begrifflichkeiten für diese Zeit des Experiments, des Aufbruchs, der Abwendung vom herkömmlichen Kunstmarkt im Umlauf.

Sol LeWitt formulierte 1967 in seinen Paragraphs on Conceptual Art wesentliche Aspekte der Konzeptkunst und ging damit als Begründer dieses Kunststils in die Kunstgeschichte ein; wobei Henry Flint bereits 1961 den Begriff concept art in einem Aufsatz verwendete. Während Flint schrieb, dass das Material von Konzeptkunst aus Konzept bestehe, beschrieb LeWitt in den Paragraphen seine Überlegungen zu Herstellung und Ausführung von Konzeptkunst und notierte sinngemäss: Die Konzeptkunst soll den Verstand des Betrachters ansprechen und nicht sein Auge oder seine Gefühle. Joseph Kosuth unterstreicht diese Haltung, indem er sagt, in der Kunst gehe es darum, Bedeutung zu schaffen. Lawrence Weiner hält 1968 seine Überlegungen zur Ausführung von Konzeptkunst in seiner Declaration of Content fest:

Bildquelle: https://www.museomacro.it/wp-content/uploads/2020/07/LW_STATEMENT.jpg

Die Ursprünge der Konzeptkunst mögen allerdings bereits im Readymade Marcel Duchamps liegen, als er 1917 ein Urinal im Museum präsentierte und behauptete, dass das Werk Kunst sei, wenn die Künstler:in sagt, es sei Kunst.

Da Lippard mit vielen Künstler:innen im Austausch war, Interviews führte und auch Zeitungs- und Magazinartikel sammelte, fand ich in ihren Unterlagen diverse Zitate zu Konzeptkunst. Hier ein Zitat aus einem transkribierten Gespräch, das Lucy Lippard mit Sol LeWitt führte (Lucy R. Lippard papers 1930s-2010, Archives of American Art):

Konzeptkünstler sind eher Mystiker als Rationalisten. Sie kommen zu Schlussfolgerungen, die die Logik nicht erreichen kann … Unlogische Urteile führen zu neuen Erfahrungen.

Sol Lewitt, 1969

Konzeptkunst hat demnach erstaunlich wenig mit Ratio zu tun, sondern viel mehr mit Intuition – und Entmystifizierung:

Lucy Lippard formulierte in Notizen zur Konzeptkunst, die sie an ihre Studierende vermittelte, dass sowohl die Prozess- als auch die Konzeptkunst die Natur des Kunstobjekts entmystifizieren wollten und idealisierte Formen und die Anbetung des wertvollen Objekts ablehnten. Die angewandten Strategien hätten darauf abgezielt, den paternalistischen Mainstream zu umgehen. Der preiswerte, flüchtige, nicht einschüchternde Charakter der konzeptuellen Medien selbst (Performance, Foto, Erzählung, Text, Aktionen) habe schliesslich die Frauen ermutigt, sich zu beteiligen, sich durch diesen Riss in den Mauern der Kunstwelt zu bewegen.

Lippard machte in ihren Texten und Ausstellungen stets auf Frauen aufmerskam, die konzeptuelle Kunst mach(t)en. In einem Projektbeschrieb führete sie diese Namen hier auf, als verärgerte Antwort an diejenigen, die sagen, es gäbe keine Frauen, die konzeptuelle Kunst machen. Im Übrigen seien es sehr viel mehr Konzeptkünstlerinnen, als hier aufgelistet werden können (Lucy R. Lippard papers 1930s-2010, Archives of American Art):

Renate Altenrath, Laurie Anderson, Eleanor Antin, Jacki Apple, Alice Aycock, Jennifer Bartlett, Hanne Darboven, Agnes Denes, Duree Dunlap, Nancy Holt, Poppy Johnson, Nancy Kitchel, Christine Kozlov, Suzanne Kuffler, Pat Lasch, Bernadette Mayer, Christiane Möbus, Rita Myers, Renee Nahum, N.E. Thing CO., Ulrike Nolden, Adrian Piper, Judith Stien[?], Athena Tacha, Mierle Ukeles und Martha Wilson.

Trotz Lippards Eifer und Unermüdlichkeit auf Konzeptkünstlerinnen hinzuweisen, sind die verschiedenen Definitionen zu Konzeptkunst der Künstler in den Kanon der Kunstgeschichte eingegangen. Die mangelnde Bekanntheit von Konzeptkünstlerinnen kann ich mir nur dadurch erklären, dass sie nicht genug ernst genommen wurden.

Diese Vermutung liegt nahe, da sich erst mit der Konzeptkunst überhaupt die Auffassung von Kunst grundlegend geändert und den Frauen eine Tür in die Kunstwelt geöffnet hat. Die neuen, konzeptuellen Denk- und Handlungsstrategien beeinflussten in der Folge auch die Entstehung und Entwicklung vieler weiterer Kunststile und -bewegungen, wie z.B. Aktionismus, Feministische Kunst, Kunst zu sozialen Themen, Institutionskritik, Installationskunst.

Die Künstler:innen der 1960er und 70er Jahren haben nach Formen und Begriffen gesucht für Etwas, mit dem der „paternalistische Mainstream“, wie es Lippard sagt, zu umgehen ist. Und genau darin sehe ich heute noch – oder wieder? – eine Aktualität.

Autor: K.K.Buhler

Ich bin Karin Karinna Bühler, eine Schweizer Künstlerin und Informationswissenschaftlerin, auf der Suche nach Haltung in unserer patriarchal geprägten Gesellschaft.

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