Feministische Initiativen der 1970er Jahre in NY und LA

In den 1970er Jahren war Kunst und Gesellschaft im Aufbruch und Lucy Lippard mitten drin. Die Kunstkritikerin, Autorin, Kuratorin und auch politische und kulturelle Aktivistin, wirkte an der Gründung wie dem Ad Hoc Women’s Art Committee, der Art Workers Coalition oder Heresies mit – und war an vielen anderen Initiativen beteiligt.

Haupttreiber der Aktivitäten von Ad Hoc Women’s Art Committee, A.I.R. Gallery, Women Artists in Revolution, Women’s Caucus for Art, Women Students and Artists for Black Art Liberation war die Erhöhung der Sichtbarkeit von Künstlerinnen in Museen und Galerien. Es ging aber auch darum, die Inhalte und Materialien einer neuer Wertedefinition zu unterziehen. Wieso soll ein Kunstwerk aus Textilien weniger Wert sein, als eines aus Stein oder Metall? Wie wird Frau in der Kunst dargestellt? Was sind Themen, die Frauen interessieren? Die am Feminist Art Center, N.Y. Feminist Art Institute und im Womenhouse diskutierten frauenspezifischen Inhalte und Materialien waren dazu wegweisend.

Hier eine Übersicht über die in den 1970er Jahren gegründeten Initiativen, die zum Teil heute noch bestehen:

1969: AWC – Art Workers‘ Coalition

Die Art Workers‘ Coalition (AWC) war eine offene Koalition von Künstlerinnen, Filmemachern, Schriftstellerinnen, Kritikern und Museumsmitarbeiterinnen, die im Januar 1969 in New York City gegründet wurde. Ihr Hauptziel war es, Druck auf die Museen der Stadt – insbesondere auf das Museum of Modern Art – auszuüben, damit diese wirtschaftliche und politische Reformen durchführen.

Der Druck war erfolgreich: Das MoMA und andere Museen führten einen Tag mit freiem Eintritt ein, den es in einigen Museen bis heute gibt. Zudem forderte die Gruppe die Museen mit Mahnwachen auf, eine moralische Haltung zum Vietnamkrieg einzunehmen.

1969: WAR – Women Artists in Revolution

Women Artists in Revolution (WAR) war ein in New York City ansässiges Kollektiv amerikanischer Künstlerinnen und Aktivistinnen, das 1969 gegründet wurde. Sie trennten sich von der von Männern dominierten Art Workers‘ Coalition (AWC), nachdem das Whitney Museum of American Art in seiner Jahresausstellung 1969 (der späteren Whitney Biennale) nur acht Frauen unter den 143 ausgestellten Künstlern gezeigt hatte.

1970 schickten WAR-Mitglieder Briefe an das Whitney Museum und das Museum of Modern Art und forderten beide Museen auf, ihre Politik zu ändern, um Künstlerinnen stärker zu berücksichtigen. Die Wirkung ist heute noch sichtbar, siehe Kommentar zum Ad Hoc Committee of Women Artists.

1971 gründeten einige Mitglieder von WAR zusammen mit einer Gruppe namens Feminists in the Arts das Women’s Interart Center, den ersten alternativen feministischen Raum, in dem sie einen Grafik- und Siebdruck-Workshop einrichteten, der von der Künstlerin Jacqueline Skiles geleitet wurde. 1972 gab WAR ihre Bemühungen um eine Änderung der Museumspolitik auf und konzentrierte sich mehr auf die Bewusstseinsbildung in Bezug auf die Kämpfe von Künstlerinnen.

Lynn Hershman-Leeson realisierte 2012 den Dokumentarfilm !Women Art Revolution, in dem sie aufzeigt, wie die feministische Bewegung das Heute prägt:

An entertaining and revelatory „secret history“ of Feminist Art, !Women Art Revolution deftly illuminates this under-explored movement through conversations, observations, archival footage and works of visionary artists, historians, curators and critics.

https://www.artfilms-digital.com/

1970: Ad Hoc Committee of Women Artists

Ad Hoc Committee of Women Artists oder Ad Hoc Women Artists‘ Committee wurde 1970 gegründet und umfasste Mitglieder von Women Artists in Revolution (WAR), der Art Workers‘ Coalition (AWC) und Women Students and Artists for Black Art Liberation (WSABAL). Zu den Gründungsmitgliedern gehörten Lucy Lippard, Pappy Johnson, Brenda Miller, Faith Ringgold und später auch Nancy Spero.

Die Gruppe konzentrierte sich darauf, die Unterrepräsentation von Frauen in der Whitney Museum’s Painting and Sculpture Annual, dem Vorläufer der heutigen Whitney Biennale, zu beheben. Diese Proteste führten dazu, dass der Anteil der Künstlerinnen bei der nächsten Whitney Annual von durchschnittlich 5-10 % vor 1969 auf 22 % im Jahr 1970 anstieg. Die aktuelle Whitney Biennale 2022 zeigt ein extrem ausgewogenes Geschlechterverhältnis. Offenbar wird heute genau gezählt und die Künstler:innen entsprechend ausgewählt.

Im Winter 1970/71 gründete das Ad Hoc Committee die Women’s Art Registry, eine Diasammlung mit Werken von Künstlerinnen, die als Modell für spätere Registraturen wie West-East Bag diente (siehe 1971: WEB – West-East Bag).

1972 veröffentlichte das Ad Hoc Committee das Rip-Off File [übersetzt: Abzock-Datei]. Die Datei basierte auf Antworten, die Nancy Spero und Joyce Kozloff erhielten, als sie Briefe an 800 Frauen in der Kunstwelt schickten und sie um Geschichten über ihre Erfahrungen mit Sexismus und Diskriminierung baten. Das Rip-Off File wurde während des akademischen Jahres 1973/74 als Ausstellung in der Mabel Smith Douglass Library gezeigt. Die Bibliothek, eine Bibliothek der Rutgers University, hat einen Sammlungsschwerpunkt im Bereich Frauen-, Geschlechter- und Sexualstudien und betreibt ein interessantes Archiv.

1970: WSABAL – Women Students and Artists for Black Art Liberation

Als Art Strike und die Art Workers‘ Coalition (AWC) 1970 die Biennale von Venedig organisierten, um gegen die Bombardierung Kambodschas durch die USA und den institutionalisierten Rassismus und Sexismus zu protestieren, waren schwarze und weibliche Künstler ursprünglich nicht dabei. Daraufhin gründeten Faith Ringgold und ihre Töchter Michele und Barbara Wallace zusammen mit Tom Lloyd die Gruppe Women Students and Artists for Black Art Liberation (WSABAL), um den Identitätsvorurteilen und Annahmen ihrer überwiegend männlichen AWC-Kollegen entgegenzuwirken. Die Gruppe organisierte Ausstellungen, protestierte gegen Ausgrenzungen in der Kunstwelt und arbeitete mit dem Ad Hoc Women Artists‘ Committee zusammen.

1970: FAP – Feminist Art Program

1970 gründeten Judy Chicago und fünfzehn Studierende das bahnbrechende Feminist Art Program (FAP) an der California State University, Fresno und wurde an CalArts in Los Angeles erweitert. Unter Rückgriff auf die bewusstseinsschärfenden Techniken der Frauenbefreiungsbewegung schufen sie schockierende neue Kunstformen, die weibliche Erfahrungen darstellten. Gemeinsame Arbeiten und Performances – darunter die berühmten Cunt Cheerleaders – waren die Markenzeichen des Programms. Mit dem Umzug nach Los Angeles schuf die FAP die erste große feministische Kunstinstallation, Womanhouse (1972).

Cunt Cheerleaders (Pinterest)

1972: Womenhouse

Womanhouse ist die erste offene feministische Kunstinstallation, die 1972 in Los Angeles im Rahmen des ersten feministischen Kunstprogramms eröffnet wurde. Ziel des Programms war es, jungen Frauen dabei zu helfen, ihre Ambitionen als Künstlerinnen zu verwirklichen, ohne dass sie ihr Geschlecht aus ihren Werken ausblenden mussten, wozu Judy Chicago gezwungen gewesen war, um als Künstlerin in der männerzentrierten Kunstszene von Los Angeles erfolgreich zu sein.

Judy Chicago über „Womanhouse“, 14. September 2017

Das 50-jährige Bestehen von Womanhouse wird mit der Ausstellung Wo/Manhouse 2022 in Belen, New Mexico, gefeiert.

Wo/Manhouse 2022, Belen, NM (https://sites.psu.edu/womanhouse/)

1971: West-East Bag

West-East Bag (WEB) war ein internationales Künstlerinnen-Netzwerk, das von 1971 bis 1973 aktiv war. West-East Bag entstand zu Beginn der feministischen Kunstbewegung in den Vereinigten Staaten. Über den genauen Ursprung von WEB gibt es unterschiedliche Quellen. Einem Bericht zufolge hatten die Künstlerinnen Judy Chicago und Miriam Schapiro zusammen mit der Kunstkritikerin Lucy R. Lippard im April 1971 die Idee, nachdem sie die Ausstellung 26 Women Artists besucht hatten.

Das Register wurde von mehreren Galerien, darunter die Kooperativen 55 Mercer und A.I.R., aufbewahrt, bevor es an die Special Collections and University Archives der Rutgers University in New Jersey ging, wo es heute archiviert wird.

West-East Bag legte den Grundstein für eine Reihe kooperativ geführter Frauengalerien, beginnend mit der A.I.R. Gallery im Jahr 1972, die bis heute besteht.

1972: A.I.R. Gallery

Die A.I.R. Gallery (gegründet 1972) ist eine feministische, gemeinnützige, genossenschaftlich geführte Galerie für Künstlerinnen und nicht-binäre Künstlerinnen mit Sitz in Brooklyn. Die Organisation unterstützt den offenen Austausch von Ideen und die Risikobereitschaft von Künstlerinnen, um ihnen Unterstützung und Sichtbarkeit zu bieten.

1972 schlossen sich die Künstlerinnen Susan Williams und Barbara Zucker mit Dotty Attie, Maude Boltz, Mary Grigoriadis und Nancy Spero zusammen und wählten vierzehn weitere Künstlerinnen aus, um zwanzig Mitbegründerinnen der A.I.R. Gallery zu bilden. Zu der Gruppe der zwanzig gehörten Rachel Bas-Cohain, Judith Bernstein, Blythe Bohnen, Agnes Denes, Daria Dorosh, Loretta Dunkelman, Harmony Hammond, Laurace James, Nancy Kitchell, Louise Kramer, Anne Healy, Rosemary Mayer, Patsy Norvell und Howardena Pindell.

Die selbstverwaltete Organisation ist eine Alternative zu den etablierten Institutionen und lebt vom Netzwerk der aktiven Teilnehmer:innen. Als solche nimmt sie aktuelle Themen in ihr Programm auf.

Anlässlich der Frieze New York 2022 präsentierte die A.I.R. Gallery in Zusammenarbeit mit der National Women’s Liberation Trigger Planting, einem Projekt von How to Perform an Abortion. In dieser leider gerade sehr aktuellen Initiative wird aufgezeigt, wie Frau aktiv werden, einen Abtreibungshilfe finden, finanzielle und logistische Unterstützung erhalten oder sich informieren kann.

1972: WCA – Women’s Caucus for Art

Der 1972 gegründete Women’s Caucus for Art (WCA) ist eine gemeinnützige Organisation mit Sitz in New York City, die Künstlerinnen, Kunsthistorikerinnen, Studentinnen, Pädagoginnen und Museumsfachfrauen unterstützt.

Die WCA veranstaltet Ausstellungen und Konferenzen, um Künstlerinnen und ihre Werke zu fördern, und würdigt die Talente von Künstlerinnen durch ihren jährlichen Lifetime Achievement Award. Seit 1975 ist sie eine den Vereinten Nationen angeschlossene Nichtregierungsorganisation (NRO), die ihren Einfluss über die Vereinigten Staaten hinaus erweitert hat.

Demo in NYC (Source: https://nationalwca.org/)

1977-1980: Chrysalis

Chrysalis: A Magazine of Women’s Culture war eine feministische Publikation. Die im Selbstverlag herausgegebene Zeitschrift wurde von Kirsten Grimstad und Susan Rennie im Woman’s Building in der Innenstadt von Los Angeles gegründet. Die Zeitschrift wurde in einem kollektiven Prozess erstellt, der aus der feministischen Praxis der Bewusstseinsbildung erwuchs.

Die Autorinnen, Dichterinnen, Essayistinnen und Wissenschaftlerinnen, die an der Zeitschrift mitgewirkt haben, sind ein wahres Who’s Who der herausragenden Intellektuellen der feministischen Bewegung: die schwarze lesbische Aktivistin Audre Lorde; die Herausgeberin der Zeitschrift Robin Morgan, die preisgekrönte Dichterin Adrienne Rich, die Schriftstellerin Marge Piercy, die Künstlerin Judy Chicago, die Science-Fiction-Autorin Joanna Russ, die Kunstkritikerin Lucy Lippard sowie Mary Daly, Dolores Hayden, Andrea Dworkin, Marilyn Hacker, Arlene Raven und Elizabeth Janeway.

Cover of Volume 1, 1977

Die Herausgeberinnen von Chrysalis bezeichneten die Zeitschrift als ein Mittel zur Erforschung der radikalen Veränderungen, die Frauen in Theorie und Praxis einleiten. Die Zeitschrift befasste sich mit einer breiten Palette von Themen. Wie die Ostküstenpublikation Heresies: A Feminist Publication on Art and Politics, die im selben Jahr gegründet wurde, diente Chrysalis der aufkeimenden feministischen Bewegung der zweiten Welle.

1977-1993: Heresies

Über Heresies habe ich bereits einen Beitrag geschrieben, der hier nachgelesen werden kann:

https://blog.karinna.ch/2022/07/13/heresies-ein-feministisches-magazin-ueber-kunst-und-politik/

1979-1990: NYFAI – N.Y. Feminist Art Institute

Inspiriert von den Aktionen der feministischen Kunstbewegung wollten die Gründerinnen des N.Y. Feminist Art Institute eine Gemeinschaft schaffen, die Künstlerinnen inspirieren und ihnen helfen sollte, zu beurteilen, wie ihre Kunst im sozialen und psychologischen Kontext unserer Identität als Frauen entstanden ist.

Entsprechend konzentrierte sich das Art Institute auf Selbstentdeckung und kritische Reflektion des Kunstwerks. Es wurde die Geschichte der Anthropologie und der Kunst sowie feministische Theorie gelehrt. Weiter umfasste das Kunststudium Zeichnen, Bildhauerei und Malerei. Es war ein Programm, das Inspiration und Eigenmotivation voraussetzte.

One of the major feminist concepts being brought at the New York Feminsit Art Institute and at other feminist workshops and schools is the power of collective, cooperative and collaborative work.

Lucy Lippard, 5. Juni 1980, Brief an die Ford Foundation (Archives of American Art)

In der Rutger University Library gibt es zu NYFAI ein beeindruckendes Oral History Projekt, das im vergangenen Jahr aktualisiert wurde und das feministische Kunstinstitut lebendig vor Augen führt.

Autor: K.K.Buhler

Ich bin Karin Karinna Bühler, eine Schweizer Künstlerin und Informationswissenschaftlerin, auf der Suche nach Haltung in unserer patriarchal geprägten Gesellschaft.

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