Amy Smith-Stewart über „52 Artists: A Feminist Milestone“

INTERVIEW MIT AMY SMITH-STEWART

Amy Smith-Stewart, Sie sind Chefkuratorin des Aldrich Contemporary Art Museum in Ridgefield, einer Vorstadt in Connecticut, wo wir uns für dieses Gespräch in der aktuellen Ausstellung 52 Artists: A Feminist Milestone treffen. Ausgangspunkt ist die legendäre Ausstellung Twenty Six Contemporary Women Artists, die 1971 von Lucy Lippard kuratiert wurde.

Amy Smith-Stewart (Foto: Gloria Pérez)

Wie ist 52 Artists: A Feminist Milestone zustande gekommen?

Ein Jahr nach meinem Amtsantritt im Aldrich Museum kuratierte ich eine Übersichtsausstellung über die Künstlerin Jackie Winsor. Eine ihrer ersten Museumsausstellungen war die historische Ausstellung Twenty Six Contemporary Women Artists von Lucy Lippard, die im Frühjahr 1971 im Aldrich gezeigt wurde. Lucys Ausstellung war eine sehr frühe Ausstellung in der feministischen Kunstbewegung, noch vor A.I.R., Heresies und WomanHouse. Twenty Six Contemporary Women Artists ist heute als eine der frühesten feministischen Ausstellungen in den USA bekannt. Sie gab Lippard den Anstoß für ihre Karriere als feministische Kuratorin.

Als ich 2014 an der Ausstellung Jackie Winsor arbeitete, wollte ich Installationsbilder ihrer Arbeit in Twenty Six Contemporary Women Artists einbeziehen. Ich besuchte das Archiv des Museums, fand aber nur sehr wenige Informationen über die Ausstellung. Das war es, was mein Interesse geweckt hat. Die unabhängige Kuratorin Alexandra Schwartz, die mit mir an dieser Ausstellung zusammengearbeitet hat, meldete sich 2017 mit dem Wunsch, das Archiv des Museums zu besuchen, um Material über Twenty Six Contemporary Women Artists zu sehen. Während ihres Besuchs beschlossen wir, dass wir die Ausstellung neu auflegen müssten, um mehr zu erfahren, was angesichts des bevorstehenden 50-jährigen Jubiläums besonders dringend erschien. Wegen der Pandemie wurde die Ausstellung am 51. Jahrestag eröffnet. Die Ausstellung war fünf Jahre lang in Vorbereitung.

Einerseits werden einige Werke gezeigt, die bereits 1971 hier ausgestellt wurden. Andererseits gibt es Werke einer neuen Generation von Künstlerinnen (auch nicht-binäre). Inwieweit ist die Ausstellung eine Wiederholung der Ausstellung von 1971?

Als wir an dem Vorschlag für 52 Artists: A Feminist Milestone arbeiteten, wurde uns schnell klar, dass eine einfache Neuauflage der Ausstellung ihr generationenübergreifendes Erbe untergraben würde. Also beschlossen wir, die ursprüngliche Künstlerliste mit einer neuen Liste von sechsundzwanzig aufstrebenden weiblichen und nicht-binären Künstlerinnen zu kombinieren. Es war wichtig, dass die neue Liste widerspiegelt, wo der Feminismus steht und wohin er sich entwickelt.

Heute ist das Geschlecht nicht mehr an die Biologie gebunden. Es war also wichtig, dass die neue Liste dies widerspiegelt. Deshalb haben wir beschlossen, die Ausstellung 52 Artists und nicht 52 Women Artists zu nennen. Wir wollten die Inklusivität des Feminismus als eine Bewegung unterstreichen, die binäre Denkweisen aufbricht.

Während der Arbeit an der Ausstellung wurde uns auch klar, dass wir die Künstlerinnen der ursprünglichen Ausstellung, die heute noch leben und arbeiten, würdigen mussten. Deshalb haben wir sie eingeladen, ein aktuelles Werk neben einem Werk aus dem Jahr 1971 zu zeigen.

Cecile Abish, 4 into 3, 1973 (neu erstellt im Juni 2022, fotografiert im August 2022)

Lippards ursprüngliche Ausstellung im Aldrich im Jahr 1971 war eine der ersten institutionellen Antworten auf das Problem der Unsichtbarkeit von Künstlerinnen in Museen und Galerien. Es ging vor allem darum, Werke von Künstlerinnen sichtbar zu machen. Inzwischen hat sich das geändert. Wo sehen Sie einen Unterschied zwischen den beiden Ausstellungen?

Sechsundzwanzig zeitgenössische Künstlerinnen war eine Reaktion auf die mangelnde Sichtbarkeit von Künstlerinnen. Lucys Kriterium war keine One-Woman-Show in New York. Im Jahr 1971 waren Künstlerinnen in der Kunstwelt kaum oder gar nicht vertreten. Aber im Jahr 2022 ist die Kunstwelt global geworden und wird immer vielfältiger und integrativer. Deshalb haben wir ihre Kriterien aktualisiert und aufstrebende Künstlerinnen mit Sitz in New York eingeladen, die noch keine Einzelausstellung in einem Museum in den USA hatten. Die neue Liste der aufstrebenden Künstlerinnen wurde im Jahr 1980 oder später geboren. Ihre Altersspanne reicht von 26 bis 41 Jahren, was den Altersgruppen der ursprünglichen Ausstellung verblüffend ähnlich ist.

1971 war der Kunstmarkt in den USA noch sehr klein. Einen internationalen oder globalen Kunstmarkt gab es nicht. Viele der Künstler in der ursprünglichen Ausstellung wurden in den USA oder Kanada geboren. In der neuen Liste werden jedoch Geburtsorte und Herkünfte aus über 14 Ländern vorgestellt: Südkorea, Iran, Mexiko, Dominikanische Republik usw.

Ein weiterer signifikanter Aspekt von Lucys Ausstellung ist ihr äußerer Pluralismus. Die Werke in ihrer Ausstellung reichen von figurativ bis abstrakt, von minimal bis maximal, von ephemer bis konzeptionell. Auch die neue Liste spiegelt diesen pluralistischen Geist wider. Ich halte dies für wichtig, da die feministische Kunst bisweilen ausschließlich mit dem weiblichen Körper, zentralen Bildern, der Mythologie der Göttin und der Autobiografie in Verbindung gebracht wurde. Lucys feministische Kuration hat die Dinge geöffnet.

War Lucy Lippard an der Konzeption der Ausstellung beteiligt?

Der erste Schritt war, an Lucy zu schreiben und sie um Erlaubnis zu bitten, die Ausstellung zu überarbeiten. Wir teilten ihr unser Konzept mit, und sie gab uns grünes Licht. Sie hat auch einen neuen Text für den Katalog beigesteuert. Das Buch wird Tafeln, Checklisten, Installationsbilder, einen Essay von Alexandra Schwartz über die historische Ausstellung und einen Essay von mir über die neue Liste der jungen Künstler enthalten.

Man muss in feministisches Denken oder feministisches Sehen hineinwachsen. Was hat Sie dafür sensibilisiert, die Bedeutung eines feministischen Blicks auf die Kunst zu erkennen?

Ich war auf dem Women’s March 2017 in DC. Dort wurde mir bewusst, wie aktiv und lebendig die feministische Bewegung ist. Als ich in die Kunstwelt eintrat, war es einigen Künstlerinnen unangenehm, ihre Praxis mit Feminismus oder feministischer Kunst in Verbindung zu bringen, weil sie befürchteten, dass ihre Arbeit in eine Schublade gesteckt oder weiter marginalisiert werden würde. Daher war ich begeistert, als ich feststellte, dass diese jüngere Generation von Künstlerinnen den feministischen Kunstaktivismus als einen wichtigen Katalysator für ihre Arbeit nutzte.

Es gibt Aspekte der feministischen Kunst der frühen 1970er Jahre, die bei vielen der jungen Künstlerinnen in der Ausstellung sehr lebendig sind: zum Beispiel die Zitierweise. Das Zitieren von Quellen, das Zitieren von Beeinflussern. Vor allem, wenn sie aus dem Kanon herausgeschrieben wurden. Das Umschreiben der Geschichte ist natürlich eine Form von Aktivismus. Das ist es, was mich antreibt, das zu tun, was ich hier im Museum tue, nämlich Ausstellungen zu kuratieren und Kataloge zu veröffentlichen, die dem Kanon entgegenwirken.

Amy Smith-Stewart begann ihre Karriere 2002 am PS1 (jetzt MoMA PS1), gründete die nomadische Galerie Smith-Stewart in New York und ist seit 2013 Mitarbeiterin bei The Aldrich Contemporary Art Museum in Ridgefield, CT.

Karin K. Bühler und Amy Smith-Stewart nach dem Gespräch, August 2022

Autor: K.K.Buhler

Ich bin Karin Karinna Bühler, eine Schweizer Künstlerin und Informationswissenschaftlerin, auf der Suche nach Haltung in unserer patriarchal geprägten Gesellschaft.

Ein Gedanke zu „Amy Smith-Stewart über „52 Artists: A Feminist Milestone““

  1. Auszug aus 2092: die feministischen bewegungen am ende des 20. und zu beginn des 21.jhs waren die voraussetzung für die umbrüche der 2060er jahre. Kunst war nicht länger nur künstlerinnen vorbehalten, sondern zunehmend wurde damit die persönliche biografische auseinandersetzung, die auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen zuständen gemeint. Kunst wurde zu einem gefäss, das nach oben und unten offen war. Also sowohl die neuschreibung der geschichte erlaubte als auch in die unbekannte zukunft hineinwirkte. Bis dahin war kunst ein topf in den man alles geworfen hat, was eben nicht anders einordenbar war. Sämtliche literatur die publiziert wurde, gehörte zur literaturgeschichte. Es war nachträglich beinahe unmöglich diese literaturgeschichte zu verändern. Dabei sind längst nicht alle geschichten einer zeit publiziert. Das SYSTEM ermöglichte es ab den 2060er Jahren sämtliche Geschichten neu zu lesen, sich anzueignen, in persönliche Beziehungen zu setzen und in alle zeitlichen Richtungen aufzubrechen.

    Jede/r hatte die Chance seine 52 Künstler aus der eigenen Perspektive oder am eigenen Haus zu zeigen und einen Katalog zu produzieren. Es war genauso überlebensnotwendig wie Gehirnoperationen durchzuführen. Lucy Lippard, Amy Smith-Steward und Karin Buhler ebneten den Weg zu dieser Selbstverständlichkeit.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert