Catherine Morris über „Materializing Six Years“

INTERVIEW MIT CATHERINE MORRIS

Catherine Morris, Sie sind Kuratorin am Sackler Center im Brooklyn Museum in New York. 2012 haben Sie zusammen mit Vincent Bonin das Buch Six Years: The Dematerialization of the Art Object als Ausstellung mit dem Titel Materializing ‚Six Years‘: Lucy R. Lippard and the Emergence of Conceptual Art umgesetzt.

Catherine Morris, Kuratorin des Sackler Center im Brooklyn Museum, Juli 2022

2012 hatten Sie die Ausstellung Materializing ‘Six Years’: Lucy R. Lippard and the Emergence of Conceptual Art hier im Sackler Center eingerichtet. Was hatte Sie dazu bewogen, diese Ausstellung zu machen?

Ich habe die Arbeit von Lucy Lippard schon immer bewundert. Als Kuratorin für Feministische Kunst hier im Brooklyn Museum, lag es auf der Hand, mich in irgendeiner Weise mit Lucy Lippard auseinanderzusetzen, vor allem im Hinblick auf meine Wurzeln des Feminismus in der Kunstwelt.

Mein guter Freund und Mitkurator Vincent Bonin gab den Anstoss zur Ausstellung als er sagte, Six Years – das Buch – sei eine Ausstellung. Und erst später fanden wir heraus, dass Lucy selbst sagte, Six Years sei die beste Ausstellung gewesen, die sie je kuratiert habe.

Als ich anfing, hier im Zentrum für feministische Kunst zu arbeiten, lag es nahe, sich mit Lucy Lippard und ihren feministischen Schriften zu beschäftigen. Ich war aber sehr fasziniert von der unerwarteten Idee, Six Years zu untersuchen. Dabei interessierte mich, wie Lucy die Politik in ihre Entdeckung der Konzeptkunst einbrachte, von der sie sich zwar später abwandte, weil sie sie für unpolitisch hielt. Heute, fünfzig Jahre später, sehen wir das Politische am Feminismus viel klarer. Deshalb war es für mich sehr interessant, das Buch zu nehmen und daraus eine Ausstellung zu machen.

Zudem finde ich es oft viel interessanter, über den Feminismus als eine Möglichkeit nachzudenken, um damit feministische Methodik zu erklären. Ich denke, Six Years enthält eine Form der Methodik, die zu einem wichtigen Vorläufer wird. Denn die Idee der Entmaterialisierung eines Objekts in Bezug auf die Marktpolitik, auf die Mächte der Kunstwelt und auf die Definition eines Kunstobjekts hat etwas inhärent Feministisches.

Wie meinen Sie das genau? Inwiefern besteht zwischen Konzeptkunst und Feminismus eine Verbindung?  

Beispielsweise ermöglichte die Erfindung des Portapaks in der Videokunst Künstlern – und insbesondere Künstlerinnen – einen Zugang zur Kunstwelt. Die Materialien waren plötzlich erschwinglich, es war auch keine enorme Studioinfrastruktur erforderlich. Das war wichtig für Frauen, die Kunst am Küchentisch gemacht haben, nachdem ihre Kinder ins Bett gegangen sind.

Künstlerinnen, Kritikerinnen und Kuratorinnen haben einen Platz in der konzeptuellen Kunstbewegung gefunden, der es ihnen ermöglichte, einen direkten Einfluss auf die Bewegung zu nehmen, wie es ihnen in früheren kunsthistorischen Perioden nicht möglich war. Ich denke, dass die Art und Weise unterschätzt wird, wie der Feminismus in der Konzeptkunst präsent ist und auch die konzeptuelle Kunst vorantreibt.

So schafft Konzeptkunst einen Raum, der sowohl politisch als auch konzeptionell ist. Und ich denke, das ist stark.

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Sie sagen auch, dass wir alles durch die Linse des Feminismus betrachten können, was mir sehr gefällt. Etwas muss nicht per se feministisch sein, sondern es reicht, etwas mit einem feministischen Blick zu anzuschauen. Wie äusserst sich dieser Blick?

Ja, genau. Was ebenfalls in den 60er und 70er Jahren beginnt, ist eine Hinterfragung des männlichen Blicks. Das Verständnis, was wir lange Zeit als normativ angesehen haben, nämlich eine sehr männliche und oft frauenfeindliche Sicht auf Frauen, wird hinterfragt. Zugleich entwickelt sich der Feminismus als politische, soziale und kulturelle Bewegung – eine der wichtigsten des 20. Jahrhunderts. Was ich am Zentrum für feministische Kunst hier im Kontext des Brooklyn Museum schätze, ist, dass die Menschen in dieser Institution alles mit einem Bewusstsein für den Feminismus betrachten, ob es ihnen gefällt oder nicht. Hier gibt es einen historischen Kontext, der auch aus einer feministischen Sicht reflektiert wird. Wäre das Sackler Center eine autonome Institution, würde das nicht passieren.

Ich glaube, es brauchte jemanden wie Lucy mit ihrer Arbeit im Bereich der Konzeptkunst, um Generationen von uns zu helfen, dies zu artikulieren. Und das geschah, wie ich bereits sagte, nicht nur dadurch, dass sie diese einfachen Definitionen von Strukturen innerhalb der Kunstwelt veränderte, vorantrieb oder kritisierte: Was ist ein Kurator? Was ist ein Künstler? Was ist ein Händler? Was ist ein Kritiker? Aber auch die Art und Weise, wie sie all diese Dinge selber tat.

Lucy ist sehr an Strukturen interessiert. Egal, ob es um die Organisation einer Ausstellung geht, darum, wie man ein Diagramm erstellt, oder um die Struktur der Politik, die Struktur der Kultur. Ihre Fähigkeit, all diese verschiedenen, damals scheinbar disparaten Aktivitäten miteinander zu verbinden, hat meiner Meinung nach eine enorme Rolle dabei gespielt, dass die Politik heute in der zeitgenössischen Kunst weitgehend im Vordergrund steht. Vielleicht übertreibe ich es. Aber ich denke, es ist wahr. Wir leben heute in einem Zeitalter, in dem es – und ich denke, wegen Dingen wie Six Years – kontraintuitiv nur noch um politische Inhalte geht.

In der Ausstellung Materializing ‘Six Years’ zeigten Sie während fünf Monaten mehr als 170 Objekte von fast 90 Künstler:innen, die international in verschiedenen Medien tätig waren. Wie muss man sich die Umsetzung vorstellen?

Der Titel der Ausstellung führte zu einer relativ direkten Umsetzung. Man geht das Buch durch, sieht sich jedes einzelne Projekt an und prüft: Was kann man bekommen? Was existiert? Was existiert nicht (mehr)? Was repräsentiert dieses oder jenes Jahr am besten? Was repräsentiert die Werke, die immer noch bekannt sind, weil sie zu Ikonen geworden sind? Und was sind die Werke, die vielleicht vergessen wurden oder nicht so bekannt sind? Wie balanciert man das aus, um den Leuten die Bandbreite zu zeigen? Um das herauszufinden, habe ich viel Zeit in den Archives of American Art verbracht. Am Ende war es eine sehr große Leihausstellung. Und sie war unglaublich beeindruckend.

Was war ihr persönliches Highlight?

Der Höhepunkt der Ausstellung war für mich, glaube ich, die Möglichkeit, mit einigen dieser Werke für eine gewisse Zeit zu leben, in deren materiellen Gegenwart zu sein. Das war wirklich aufregend.

Eine andere Sache, die im Sackler Center automatisch passiert, ist, dass jede Ausstellung im Sackler Center aufgrund der Raumaufteilung The Dinner Party umkreist. Als wir darüber nachdachten, wie wir die Ausstellung installieren sollten, gefiel mir die Art und Weise, wie sich die Ausstellung auf die Nummernausstellungen konzentrierte und mit C. 7500 endete. Das war die letzte Nummernausstellung, die Lucy machte und die erste Ausstellung, die sie speziell den Künstlerinnen widmete – und auch in Six Years erscheint. Die Ausstellung wird aktuell gerade auch in The Aldrich thematisiert. Es war eine wunderbare Abfolge, die wirklich alles zu vereinen schien. Das ist bei Ausstellungen, die von einer Chronologie abhängen, nicht oft der Fall. Die besten Ausstellungen sind nicht endgültig, sie inspirieren weitere Ausstellungen, und so hatte ich das Gefühl, dass der Abschluss unserer Ausstellung eine Frage aufwirft, über die andere Leute und andere Kurator:innen nachdenken können – und das war schön.

Haben Sie für die Ausstellung mit Lucy Lippard zusammen gearbeitet? In welcher Form?

Lucy hätte niemals zugestimmt, an einer Ausstellung mitzumachen, die sich um sie dreht. Aber eine Ausstellung über die Kunst zu machen, für die sie sich eingesetzt hat, machte absolut Sinn. Lucy hat einen Text für den Katalog beigesteuert, sie kam zur Eröffnung – sie war definitiv ein Teil des Projekts, wofür wir sehr dankbar waren. Es gab so viele Synergien, von denen ich immer noch das Gefühl habe, dass diese durch Lucy zustande gekommen sind.

Catherine Morris ist Kuratorin des Elizabeth A. Sackler Center for Feminist Art, lebt und arbeitet in New York

Catherine Morris und Karin K. Bühler beim Gespräch, Juli 2022

Autor: K.K.Buhler

Ich bin Karin Karinna Bühler, eine Schweizer Künstlerin und Informationswissenschaftlerin, auf der Suche nach Haltung in unserer patriarchal geprägten Gesellschaft.