#4: New Mexico

Gemeinsam mit der St.Galler Künstlerin Monika Sennhauser bereise ich während 17 Tagen New Mexico – in einem Wohnmobil! – um das Bezaubernde von New Mexico am eigenen Leib zu erfahren.

Auf einer mehr oder weniger ausgeheckten Route suchen wir jene Orte auf, in denen sich die in Warum New Mexico? genannten Künstler:innen niederliessen.

Unsere Reise beginnt in Phoenix, die in der Sonora-Wüste gelegene Hauptstadt von Arizona. Dort nehmen wir Sunseeker in Empfang: unser 7,3 Meter langes Zuhause auf vier Rädern. Froh um den kühlenden Wind der Klimaanlage, verlassen wir die brütend heisse Stadt gegen Norden.

Bereits in Arcosanti legen wir einen kurzen Zwischenstopp ein, um die Experimentalstadt des Architekten Paolo Soleri zu erkunden. Die Betoneinheiten wurden auf der Basis seiner Stadtutopie erbaut, wobei das Utopische mangels finanzieller Mittel leider langsam verwittert. Eindrücklich war die Anlage aber trotzdem.

Super Team: Karin und Monika auf dem Dach des RV

Unsere erste Nacht verbringen wir auf einem RV-Camping (RV steht für Recreational Vehicle, Freizeitfahrzeug) in Sedona. Hier lassen wir uns von erfahrenen Campern erklären, wie man das Abwasser fachgerecht entsorgt. Es gibt nämlich graues Wasser (Küche, Dusche) und schwarzes Wasser (Toilette). Vor allem das Ablassen des schwarzen Wassers will gelernt sein. 😉

In der atemberaubend schönen Landschaft von Sedona lässt sich besonders gut wandern: zum Beispiel den Margs Draw Trailhead. Mich begeistert das rote Gestein, das gemeinsam mit den verschiedenen Grün um die Wette knallt – und der Duft der Sträucher(!) – was die Wanderung nicht nur zu einem visuellen, sondern auch zu einem olfaktorischen Erlebnis macht.

Das tolle am Wohnmobil ist, dass man das Gefährt auf Campingplätzen, von denen es immer wieder welche gibt, aber auch an freien Stellplätzen irgendwo in der Pampa hinstellen kann. Boondocking wird das genannt und von uns gerne gewählt, denn Boondocking bedeutet in der Regel: Natur pur.

Knall auf Fall geht es mit spektakulären Landschaften am Glen und Grand Canyon weiter. Wir blicken an die optisch schönen, aber beunruhigenden weissen Ränder des Lake Powells und in den ahnungslos grün schimmernden Colorada River am Hoseshoe Bend.

Der Lake Powell ist das zweitgrösste künstliche Wasserreservoir in den USA. Niederschlagsarme Jahre und eine verstärkte Wasserentnahme lassen den Wasserpegel des Sees seit Jahren stetig sinken, was Millionen von Menschen, die auf das Wasser zum Trinken und zur Bewässerung angewiesen sind, Sorgen bereitet. Gemäss dem Wissensmagazin scinexx liegt der aktuelle Pegel nur noch wenig über dem Minimum, ab dem das Kraftwerk am Glen-Canyon-Damm keinen Strom mehr erzeugen kann.

Hin und wieder haben wir Frischwasser gesucht. Das ist allerdings weniger dem Pegelstand des Lake Powell zu verschulden, sondern dem Boondocking, bei dem man auf den eigenen Wassertank angewiesen ist. Wenn man wie wir über längere Zeit auf den Konfort eines Campingplatzes verzichtet, müssen sogenannte RV Dumps aufgesucht werden, die ziemlich rar sind …

Das lässt uns aber nicht von weiteren Stellplätzen ohne Full-Hookup abhalten. Im Oljato-Monument Valley erhalten wir spätabends noch einen Stellplatz bei Rent A Tent, einem achtsam und herzerwärmend geführten Übernachtungsort in fantastischer Umgebung.

Bis jetzt waren wir in Arizona unterwegs, mit kleinen Abstechern nach Utah. Nun betreten wir das Land of Enchantment – New Mexico!

Allerdings ist vom Zauber noch wenig zu spüren. New Mexico zählt aufgrund seiner Abhängigkeit von der Landwirtschaft zu den ärmsten Staaten Amerikas. Bei den Überlandfahrten zeigen sich die Gebäude in äusserst einfacher Bauart, eher wie Baracken als Häuser. Telefonfunk für mobile Daten am Smartphone gibt es nur selten, WLAN noch seltener (ausser man geht in einer grösseren Stadt in den Mc Donalds oder Tacco Bell). Detailplanungen, bei denen wir auf Internet angewiesen sind, können wir entsprechend nur sporadisch vornehmen – zum Beispiel in Grandma’s Kitchen, wo uns der Besitzer ausnahmsweise sein Büro-WLAN (vermutlich das einzige im Dorf?) zugänglich machte.

Hier planen wir die abendliche Fahrt zu den Bisti Badlands, wo es erlaubt ist, mit dem RV auf dem kleinen Parkplatz vor Ort zu übernachten. Am nächsten Morgen zeigen sich die Badlands not bad at all!

Die Bisti Badlands/De-Na-Zin Wilderness sind wohl das, was das Enchanted Land ausmacht. Es ist ein einsamer Ort – kein Wasser, keine Bäume, kein Gras, nur ein wenig Salbei. Aus der roten Sandwüste kommend, umgibt uns hier in eine Welt aus facettenreichem Graugrün, Schwarz, Rotviolett.

Da keine Wanderwege oder irgendeine Signalisation durch die Badlands führen, ist beim Begehen des weitläufigen Areals geboten, die Orientierung nicht zu verlieren. Während meiner morgendlichen Erkundung durch die zauberhafte Landschaft bin ich auf versteinerte Baumstrünke und diverse Felsformationen (zum Beispiel Cracked Eggs) gestossen. Die endlose Ruhe und Weite, das Erfahren der eigenen Nichtigkeit inmitten dieser zeitlosen Landaufschichtung begeistern mit total!

Setting und Mood stimmen perfekt, um in versteckten Winkeln ein paar Zeichen mit Kreidespray zu hinterlassen. (Dazu mehr in einem anderen Beitrag.)

Neumondnacht
Neumondnacht

Ähnlich erhaben offenbart sich auch immer wieder der Nachthimmel. Nach vergeblicher Suche nach dem Chacos Canyon beschliessen wir bei Abenddämmerung bei einem Tümpel zu übernachten, in dessen Wasseroberfläche Monika mit ihrer nigelnagelneuen iPhone-Kamera Sternenkonstellationen fotografiert. Eine magische Situation im Nirgendwo.

Die Malerin Georgia O’Keeffe hat sich gerne von den Felsen bei Abiquiú inspirieren lassen (oder auch von den Bisti Badlands). Bei der von einem Kirchverein geführten Ghost Ranch steht ihr leider nicht zugängliches Summer House inmitten der von ihr oft gemalten Felsen. Ihrem Wohnhaus in Abiquiú lässt sich ihre Affinität für Japan ablesen und im schicken Visitor Center in Abiquiú sieht man, wie geschickt das Georgia O’Keeffe Museum das Erbe der Malerin vermittelt und vermarktet.

In Taos, unserer nordöstlichsten Destination, befindet sich das Harwood Museum of Art, das Agnes Martin (1912-2004) einen meditativen Ausstellungsraum gewidmet hat. Die Malerin gehörte in Taos, bekannt für seine Adobe-Bauten (Lehmgebäude), zu den einflussreichen Künstler:innen des späteren 20. Jahrhunderts.

Die historische Taos Plaza ist von Touristenshops gesäumt und erinnert von Stimmung und Geschichte ein wenig an Ascona. Ganz eindringlich hingegen wird uns durch eine Führung einer Einheimischen Taos Pueblo näher gebracht. Es wird uns gelebte Geschichte vermittelt, die den immer noch währenden Zwist zwischen den drei Ethnien (Indians, Hispanics, American) aufzeigt. Die Ureinwohner wurden im 17. Jahrhundert von den Spaniern kolonialisiert und im 19. Jahrhundert von den Amerikanern verstaatlicht. Schade blos, dass dem Pueblo auf diese Weise ein rückwärtsgewandter, musealer Alltag beschieden ist.

Noch weiter in der Zeit zurück schauen können wir im Bandelier National Monument. Auf vorgegebenen Pfaden besichtigen wir die historischen Wohnstätten, wobei wir lange Holzleitern erklimmen, um auch höher gelegene Höhlen zu betreten.

Santa Fe, die Hauptstadt New Mexicos, ist lebendig und modern, verfügt über eine Hand voll zeitgenössischer Kunsträume (z.B. Site Santa Fe) – und ist teuer. Ein Barkeeper erklärt uns, dass es für einfache Leute kaum mehr möglich sei, hier zu leben, weil sich vermehrt reiche Leute in der Hauptstadt niederlassen, womit die Preise steigen.

Auf dem Bauernmarkt lernen wir eine Schweizerin kennen, die (heute) zu den reichen Zugezogenen zählt. Ihr Mann Emaho ist Schamane und scheint damit gut zu verdienen. Wir dürfen an einem Talk teilnehmen und schliesslich bei Freunden des Paares im wunderschönen Las Dos übernachten.

Schliesslich fahren wir nach Galisteo, dem Wohnort von Lucy Lippard (und anderen: siehe Warum New Mexico?). Da die Kunstkritikerin, Autorin und Aktivistin positiv auf Covid getestet wurde, ist keine lange Begegnung möglich. Ohnehin hat mir die aktive 85-Jährige bereits mitgeteilt, dass sie meine Fragen lieber per Mail beantworten wolle als bei einem Gespräch mit Mikrofon und Kamera. Entsprechend winken wir uns lediglich zu. Meine Fragen wird sie hoffentlich bald per Email beantworten, damit ich das Interview demnächst auf diesem Blog veröffentlichen kann.

Unsere Tage im Wohnmobil sind langsam gezählt. Es bleiben noch zwei Nächte, bis wir unseren Sunseeker wieder in Phoenix abgeben müssen. Auf dem Weg zurück in die Wüstenstadt machen wir einen Stopp beim Very Large Array, einem astronomischen Observatorium. Hier wird Radiofrequenzstrahlung aus dem Weltall mit 27 Teleskopen – gemeinsam mit Teleskopen an anderen Orten auf der Erde – empfangen und gemessen, um entfernte Stellen des Universums zu erforschen.

Übrigens war New Mexico während des Zweiten Weltkriegs Schauplatz des streng geheimen Manhattan-Projekts, bei dem führende US-Wissenschaftler an der Entwicklung der ersten Atombombe arbeiteten. Walter de Maria, wichtiger Vertreter des Minimalismus, der Konzeptkunst und der Land Art, hatte weniger Atombomben und Radiofrequenzen im Sinn, sondern das Phänomen Blitz, als er ganz in der Nähe des Very Large Array ein Stück Land auswählte und darauf 400 Metallstangen installierte. Bei Gewitter sollen dort – in der weiten Landschaft – Blitze einschlagen. Um dem Naturphänomen beiwohnen zu können, muss die dafür eingerichtete Cabin gemietet werden, die aber wegen Covid bereits bis ins nächste Jahr ausgebucht ist (und uns ohnehin zu teuer wäre).

Landschaft bei Phoenix

Wir ziehen Gewitter in unserem RV vor. So richtig geregnet hat es in der ganzen Zeit allerdings nur 1 Mal. Nach 17 Tagen und 1740 Meilen (2’800 Kilometern) geben wir das Wohnmobil wieder in Phoenix ab: unfallfrei und mit unzähligen Eindrücken beschenkt.

Autor: K.K.Buhler

Ich bin Karin Karinna Bühler, eine Schweizer Künstlerin und Informationswissenschaftlerin, auf der Suche nach Haltung in unserer patriarchal geprägten Gesellschaft.

Ein Gedanke zu „#4: New Mexico“

  1. Danke Karin. Wir wünschen dir/euch weiterhin einen interessanten Aufenthalt in den Staaten. LG von der Fähre von Helsinki nach Talin, anita rohner und adrian wehren

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